Nico Rose | Präsentation

Positive Psychologie in und für Organisationen: Was dagegen?!

Arbeit besser machen | 2. Auflage

2. Auflage ab 21.3.24 erhältlich

Wenn ich mit Organisationen über Positive Psychologie spreche, begegnen mir, gerade innerhalb des deutschen Kulturkreises, wiederkehrende Fragen und Einwände. Aber: Einwände zeugen bekanntlich von Interesse. Im Folgenden finden Sie – kurz und knapp – mögliche Antworten zu jenen Punkten, die mir bei meinen Vorträgen und Workshops (bzw. den Vor- und Nachgesprächen dazu) am häufigsten begegnen.

Bei uns ist doch schon alles super.

Das ist möglich, aber sehr unwahrscheinlich. Außerdem – wie heißt es so schön bei Voltaire? Das Gute ist der Feind des Besseren. Solche Einwände bringen mich dazu, entsprechende Gespräche recht schnell zu beenden. Entweder habe ich nicht den richtigen Gesprächspartner vor mir – oder die Organisation hat Probleme, die meine Beratungskompetenz deutlich übersteigen.

Das funktioniert bei uns nicht. Das haben wir noch nie gemacht.

Auch bei dieser Art von Sätzen werde ich sehr skeptisch. Ich bin in den ersten 30 Jahren meines Lebens mit einem ordentlichen Helferkomplex durch die Gegend gerannt, seitdem ist es graduell besser geworden. In diesem Sinn versuche ich nicht mehr, Menschen oder Organisationen zu helfen, die derzeit keine Hilfe erhalten wollen – alles andere wäre auch übergriffig. Grundsätzlich würde ich mich im Rahmen eines Gesprächs wieder fragen, ob überhaupt die relevanten Stakeholder am Tisch sind.

Sollen hier jetzt alle immer mit einer rosaroten Brille herumlaufen?

Fragen nach diesem Muster erhalte ich regelmäßig von Menschen, die sich nur oberflächlich und/oder auf Basis mangelhafter Quellen mit Positiver Psychologie beschäftigt haben. Je nach Zeitrahmen nutze ich meist das PERMA-Konzept, um zu erläutern, dass das Erleben von positiven Emotionen zwar ein wichtiger, aber doch nur ein Baustein unter vielen in der Positiven Psychologie ist. Zudem ist es wissenschaftlich betrachtet eher so, dass Menschen einen angeborenen Grauschleier vor den Augen haben, den wir zielgerichtet immer wieder einmal abnehmen sollten.

Ich kann doch nicht die Schwächen meiner Mitarbeiter ignorieren.

Dies ist ein valider Einwand. Grundsätzlich ist es sinnvoll, zwischen normalen Schwächen zu unterscheiden und dem, was im Talentmanagement „Derailer“ genannt wird. Hiermit werden Schwächen im Profil eines (potenziellen) Mitarbeiters bezeichnet, die in Relation zum (zukünftigen) Anforderungsprofil so gravierend sind, dass zu erwarten steht, dass sie den Menschen aus der Bahn werfen und/oder der Organisation nachhaltigen Schaden zufügen werden. Solche Schwächen dürfen nicht ignoriert werden.

Wenn die Diagnostik versagt hat und eklatante Schwächen in der Rolle bereits zutage gefördert wurden, hilft als letzter Rettungsanker manchmal nur, die Person wieder aus der Rolle zu entfernen. Bei leichteren Fällen besteht der Ansatz der Positiven Psychologie allerdings immer darin, die Schwächen durch intensivere Betonung der Stärken und/oder eine bewusste Veränderung des Aufgabenprofils (Job Crafting) obsolet zu machen.

Menschen sind nicht so „gut“, wie die Positive Psychologie sie zeichnet.

Auch dieser Einwand ist valide. Wir alle wissen aus eigener Erfahrung, dass wir nicht immer Höchstleistungen erbringen (können). Ebenso wenig sind wir immer edel, hilfreich und gut. Ich bin allerdings fest davon überzeugt, dass uns Menschen in sozialen Situationen immer auch ein gutes Stück weit widerspiegeln, was wir in sie hineinprojizieren. Das gilt umso mehr für Führungskräfte und ihre Mitarbeiter – und die Forschung zum Pygmalion-Effekt bestätigt diese Sichtweise. Die Menschen sind immer auch so, wie wir sie sehen. Und wir können lernen, mit dem guten Auge hinzusehen.

Nico Rose | fröhlicher Hintergrund

Das ist doch alles ein alter Hut.

Auch dieser Einwand ist nicht gänzlich von der Hand zu weisen. Vieles, was innerhalb der Positiven Psychologie propagiert wird, wurde auch schon anderswo gedacht, zum Teil schon vor Tausenden von Jahren. Neu ist der ausgeprägte empirische Fokus, mit dem diese Gedanken untersucht – und dadurch ein Stück weit objektiviert werden.

Zum anderen sind Wissen und Umsetzen bekanntlich zwei unterschiedliche Disziplinen. In der Theorie wissen wir alle, wie man abnimmt, mehr Sport macht, mit dem Rauchen aufhört, besser zuhört, respektvoller ist – und ganz allgemein ein besserer Mensch wird. Und dann kommt das Leben dazwischen. Wir bleiben in unseren Gewohnheiten hängen, werden von unserer Umwelt in der (alten) Spur gehalten oder vergessen einfach, dass wir etwas anders machen wollten.

In Organisationen potenziert sich all dies durch verschiedene Trägheitskräfte: die bestehende Kultur, Regeln und Normen, die kollektive Angst vor Neuem. Im Angesicht dieser Kräfte braucht es validierte Konzepte und Interventionen, um Organisationen genug positive Energie bereitzustellen, um die Menschen durch den notwendigen Wandel zu tragen. Die Positive-Organisationale Psychologie (POP) liefert solche Konzepte.

Wir müssen hier Umsatz machen. Wir haben keine Zeit für so etwas.

Sätze wie dieser begegnen mir manchmal im Vertriebsumfeld. Bei diesem Einwand muss ich immer an die Metapher vom langsamen Baumfäller denken, der nie Zeit findet, seine Säge zu schärfen. Sie wurde durch das Buch „Die 7 Wege zur Effektivität“ von Stephen Covey popularisiert. Nun ist es so, dass Menschen im Vertrieb typischerweise (auch) Zahlenmenschen sind. In diesem Sinne argumentiere ich hier auf Basis der reichlich vorhandenen empirischen Studien, die nahelegen, dass Werkzeuge aus der Positiven Psychologie nachweislich in der Lage sind, an vielen verschiedenen Stellen des Unternehmens positiv auf wichtige Performance einzuwirken.

Das ist doch alles nicht authentisch.

Nach meiner Erfahrung steckt dahinter ein Glaubenssatz, konkret: die Annahme, dass das Negative, vor allem unangenehme Emotionen wie Angst oder Trauer, ein höheres Gewicht und eine größere Bedeutung haben als Freude und Glücksgefühle. Evolutionsbiologisch trifft das durchaus zu. Letztlich beruht diese Einschätzung allerdings auf einem Missverständnis. Angenehme Emotionen sind tatsächlich kurzlebiger und flüchtiger als unangenehme, aber deswegen nicht weniger real und ganz gewiss nicht weniger wichtig. Angst, Wut und Trauer helfen uns beim Überleben. Freude, Stolz und Dankbarkeit tun dies ebenso.

Andererseits erlebe ich bisweilen Vorbehalte gegen psychologische Interventionen, vor allem wenn es darum geht, an den eigenen Emotionen zu arbeiten oder bewusst die Emotionen anderer Menschen zu beeinflussen. Das ist bemerkenswert, denn bezogen auf die Physis gibt es solche Abneigungen zumeist nicht. Wir mögen ins Fitnessstudio gehen oder nicht – doch kaum jemand findet es generell merkwürdig, wenn Menschen ihren Körper trainieren. Ich bin der festen Überzeugung, dass mehr Menschen lernen sollten, auch ihren Geist und ihre Gefühle ein Stück weit bewusst zu steuern, vor allem, wenn dies im Dienst anderer Menschen geschieht. Wir können uns nur begrenzt aussuchen, welche Emotionen wir erleben. Viel stärker jedoch können und sollten wir steuern, welche Emotionen wir anderen gegenüber zum Ausdruck bringen (bzw. wann und in welcher Dosis).

Dem Glück nachjagen? Das klingt doch sehr egoistisch.

Es ist korrekt, dass das Streben nach Glück egoistische Züge annehmen kann, vor allem wenn ein Mensch dies vornehmlich auf Kosten des Glücks anderer Personen tut. Allerdings geht ein solches Vorgehen langfristig ohnehin zu Lasten der Sinnwahrnehmung und der gelingenden Beziehungen im Leben – aus Sicht der Positiven Psychologie handelt es sich somit nicht um eine authentische Form des Glücks.

Allgemein ist zu sagen, dass es sich beim Streben nach persönlichem Wachstum gemäß den PERMA-Kriterien um eine Form dessen handelt, was in der Philosophie Selbstsorge genannt. Gerade Mitarbeiter, deren Fokus auf der Unterstützung anderer Menschen liegt – und dazu zähle ich Führungskräfte und Personaler hier pauschal –, müssen verstärkt auf sich selbst achtgeben, um wirkungsvoll zu bleiben. Es hat einen Grund, warum bei der Sicherheitsunterweisung im Flugzeug immer betont wird, dass Erwachsene im Notfall zuerst die eigene Sauerstoffmaske anlegen sollten, bevor sie anderen helfen. Wer sich nicht ausreichend um sich selbst kümmert, fällt als Unterstützung für andere schlichtweg aus – das gilt genauso für weniger kritische Arbeitskontexte. Wir können anderen nichts einschenken, wenn unser eigenes Gefäß leer ist.


Dieser Beitrag ist eine gekürzte Fassung eines Anhangs aus dem Buch Arbeit besser machen, dessen überarbeitete Neuauflage demnächst bei Haufe erscheint.