Nico Rose | Relationale Energie

Relationale Energie: Ist Ihre Organisation voll aufgeladen?

Sind Sie im Moment voll aufgeladen? Fühlen Sie sich energetisiert? Voller Elan? Oder fühlen Sie sich de-energetisiert? Ausgelaugt? Entkräftet? Oder etwas dazwischen? Ganz gleich, was Sie gerade erleben – es steht außer Frage, dass Menschen dazu neigen, ihren individuellen Zustand in Form von energetischen Zuständen zu beschreiben. Von welcher Natur ist diese Energie?

Es ist klar, dass wir nicht über Energie in einem streng physikalischen Sinne sprechen. Ja, wir können uns ausgelaugt fühlen, weil wir zu wenig essen und auch, weil zu wenig geschlafen haben. Entsprechend fühlen wir uns nach dem Essen oder einem Nickerchen auch wieder bei Kräften. Aber bei der Form von Energie, von der ich hier sprechen, ist es etwas komplizierter. Zum Beispiel kann ein Spaziergang nach dem Mittagessen unsere Energie erhalten und uns dabei helfen, nachmittags produktiver zu sein, obwohl ein Teil der körperlichen Energie durch die Bewegung verbraucht wurde.

Darüber hinaus manifestiert sich menschliche Energie durch interessante Ideen, sie wird gespeist durch Leidenschaft, durch das Verfolgen von Zielen. Forschungsarbeiten legen nah, dass ein und dieselbe Tätigkeit energetisierend oder de-energetisierend sein kann, je nachdem, ob diese Tätigkeit unsere Stärken bespielt; oder auch ob sie autonom reguliert oder extern reguliert (aufgezwungen) ist. Einen guten Überblick über verschiedene Frameworks menschlicher Energie finden Sie hier.

Die Natur der relationalen Energie

Darüber hinaus speist sich unsere Energie aus der Interaktion mit anderen Menschen – doch kann sie dabei auch verbraucht werden. Denken Sie einen Moment lang an typische Interaktionen mit einigen Ihrer ArbeitskollegInnen. Je nach Qualität dieser Interaktion fühlen Sie sich danach vielleicht:

  • (etwas) belebt/aufgeladen (= energetisiert);
  • (etwas) erschöpft/ausgelaugt (= de-energetisiert);
  • in etwa so wie vorher (= unverändert).

In der Realität kann dieser Prozess, abhängig von der Qualität der bisherigen Erfahrungen, schon lange vor der eigentlichen Interaktion beginnen: nämlich dann, wenn eine Person beginnt, darüber nachzudenken, dass sie sich mit einer anderen Person interagieren muss. Mal ehrlich, wie oft sagen wir etwas in der Art von: „Oh je, ich habe morgen ein Treffen mit X. Ich wünschte, ich könnte jemand anderen schicken…“

Das ist der Grund, warum viele Unternehmen beginnen, eine Keine-Arschlöcher-Politik einzuführen: Sie passen ihre Einstellungs- und Beurteilungsprozesse an, um das Auftreten von „emotionalen schwarzen Löchern“ unter ihren Mitarbeitern zu minimieren: jenen Menschen, die die Energie ihrer Kollegen absaugen, selbst wenn sie in ihrem jeweiligen Arbeitsbereich High-Performer sind. Der Schaden, den sie dem organisatorischen Netzwerk zufügen, überwiegt auf Dauer bei weitem ihre Produktivität (siehe dazu: Cross, Baker, & Parker, 2003).

Stellen Sie sich einmal vor, wie viele Begegnungen Sie an einem durchschnittlichen Arbeitstag haben, seien sie kurz und flüchtig (z.B. Smalltalk in der Kaffeeküche) oder ausgedehnt und intensiv (z.B. ein ganztägiger Workshop). Nun stellen Sie sich alle Menschen in Ihrem Unternehmen vor und ihre Begegnungen über einen Tag … eine Woche … ein Jahr hinweg.

Bei einem großen Unternehmen, z.B. dem, für das ich früher gearbeitet habe (130.000 Menschen), sprechen wir leicht von mehr als einer Milliarde solcher Interaktionen pro Jahr. Das sind eine Milliarde Gelegenheiten, die Energie dieser Organisation entweder aufzuladen oder zu entladen. Jede einzelne energetische Transaktion mag winzig sein, aber zusammen bilden sie das wichtigste Kapital dieser Organisation.

Jede einzelne energetische Transaktion mag winzig sein, aber zusammen bilden sie das wichtigste Kapital der Organisation.

Die Sache ist die – und Sie kennen das aus Ihrem eigenen Leben sehr gut: Der energetische Zustand eines jeden Mitarbeiters ist mit vielen erfolgskritischen Faktoren verbunden, beispielsweise dem Arbeitsengagement, der Kreativität und der Arbeitszufriedenheit – und alle die zuvor beschriebenen Wechselwirkungen zusammengenommen bilden einen großen Teil des Organisationsklimas.

Nico Rose | Relationale Energie

Change als Management von Energie

Wenn wir über Change sprechen, meinen wir normalerweise große, flauschige Konzepte: Veränderung der Kultur oder Veränderung der Führung. Aber können wir mit diesen Entitäten im wirklichen Leben arbeiten? Ist es nicht vorteilhafter, mit kleinen Dingen zu beginnen: dem alltäglichen Verhalten? Dazu müssten wir in der Lage sein, die Art dieser Interaktionen im Hinblick auf ihre „energetische Qualität“ zu messen. Einen solchen Versuch hat ein Team von US-Forschern unternommen (Owens, Baker, Sumpter, & Cameron, 2016). Sie definieren relationale Energie als…

a heightened level of psychological resourcefulness generated from interpersonal interactions that enhances one’s capacity to do work.

Die Autoren schlagen eine Skala zur Messung dieser Art von Energie aus der Sicht des Empfängers vor. Dies sind zwei der von ihnen vorgeschlagenen Items:

  • Ich fühle mich gestärkt, wenn ich mit dieser Person interagiere.
  • Nachdem ich mit dieser Person interagiert habe, spüre ich mehr Energie, um meine Arbeit zu erledigen.

Größere Unternehmen betreiben in der Regel großen Aufwand, um das Engagement und die Zufriedenheit von Mitarbeitern zu messen. Stellen Sie sich nun vor, dass jeder Mitarbeiter in einer Organisation einen kurzen Fragebogen zur relationalen Energie ausfüllt, die er aus der Interaktion mit seinen engsten Kollegen, Vorgesetzten und Mitarbeitern bezieht. Dies wiederum könnte dazu verwendet werden, eine detaillierte „energetische Landkarte“ dieser Organisation zu erstellen und so die „Sonnen“ und die „schwarzen Löcher“ entlang des Weges zu identifizieren.

Das mag aktuell noch nach Zukunftsmusik klingen, aber die Messmethoden und die Software sind bereits vorhanden. Ich stelle mir vor, dass dies zu einem völlig neuen, datenbasierten Paradigma in der Führungsentwicklung führen könnte.


Mehr zum Thema relationale Energie finden Sie in diesem Fachartikel.


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