Arbeit besser machen | Nico Rose

Interview: „Psychologisches Kapital (PsyCap) erhöht das Leistungsniveau“

Herr Professor Reinhardt, Sie beschäftigen sich in Ihrer Forschung mit einem Konzept, welches Positives Psychologisches Kapital (kurz: PsyCap) genannt wird. Worum handelt es sich?

Das Konzept des Psychologischen Kapitals ist nicht nur eines der am besten überprüften Positivkonzepte an der Schnittstelle zwischen Organisation und Individuum, sondern auch eines, das mit einem hohen Maß an Effektivität verbunden ist. Daher ist es überraschend, dass es in Europa nahezu unbekannt ist. PsyCap besteht aus vier Bausteinen:

  1. Selbstwirksamkeitserwartung: Man ist von den eigenen Fähigkeiten überzeugt;
  2. Hoffnung: Man hält an gesteckten Zielen fest;
  3. Optimismus: Man blickt zuversichtlich in die Zukunft und glaubt an seinen Erfolg, und
  4. Resilienz: Man bewältigt Probleme und überwindet Hürden.

Woher kommen diese vier Bausteine?

PsyCap wurde im Wesentlichen vom US-amerikanischen Management-Wissenschaftler Fred Luthans entwickelt. Einerseits ging es ihm um die Frage, in welchem Umfang sozialpsychologische Faktoren Einfluss auf die individuelle Leistung haben. Nach umfangreicher Recherche kam es zur Identifikation der besagten Faktoren. Andererseits ging es ihm um eine möglichst hohe Validität und somit Effektivität. Aus umfangreichen empirischen Analysen konnte er nachweisen, dass eine gleichzeitige Berücksichtigung aller vier HOPE-Dimensionen zu den größten Effekten in Hinblick auf die Verbesserung von Leistung und weiteren Variablen führt.

Können Sie die vier PsyCap-Bausteine bitte näher erläutern?

Gerne. Personen mit hoher Selbstwirksamkeit unterscheiden sich von anderen Personen in Bezug auf die folgenden Merkmale: Sie setzen sich höhere Ziele und wählen von sich aus anspruchsvollere Aufgaben. Sie sind zu einem hohen Maß intrinsisch motiviert. Sie strengen sich genügend an, um die gesetzten Ziele tatsächlich zu erreichen und das Erleben von Hindernissen stachelt ihr Durchhaltevermögen an.

Menschen mit hohem Hoffnungsniveau sind entschlossen, ihre Ziele zu erreichen und sie glauben, dies auch zu schaffen. Sie machen sich Gedanken über Mittel und Wege, um diese Ziele zu erreichen. Sie entwickeln entsprechende Pläne und Strategien, um dies auszuführen. Sie sind zuversichtlich und können etwas auch dann noch positiv sehen, wenn es für an­dere negativ erscheint. Sie hoffen das Beste für die Zukunft und tun ihr Mögliches, um ihre Ziele zu erreichen. Da­bei haben sie ein klares Bild, was sie sich für die Zukunft wünschen und wie sie sich die Zukunft vorstellen. Wenn mal etwas nicht klappt, versuchen hoffnungsvolle Menschen trotzdem, positiv in die Zukunft zu blicken.

Studien zeigen, dass Menschen mit hohem Optimismus-Niveau motiviert sind, Herausforderungen aufzusuchen und die eigenen Stärken und Fähigkeiten dementsprechend einzusetzen. Ihr Optimismus bestärkt und, Ziele zu verfolgen und so lange hart zu ar­beiten, bis sie diese erreicht haben. Er ist die Grundlage für Durchhaltevermögen, wenn sie mit Hindernissen konfrontiert wer­den und verhindert somit ein vorzeitiges Aufgeben. Ihr Optimismus ist etwas, was sie über sich selbst gelernt haben, was sich über die Zeit weiterentwickelt hat.

Resilienz schließlich stellt ein entwicklungsfähiges Merkmal dar, belastende Situationen bewältigen und dar­aus lernen zu können. Es hilft Menschen, nach Einsichten zu suchen. Sie stellen sich wichtige Fragen und geben sich ehrliche Ant­worten. Es fördert ihre Unabhängigkeit, denn resiliente Menschen nehmen für sich das Recht in Anspruch, sichere Gren­zen zwischen sich und anderen ziehen zu können. Resilienz fördert auch die Beziehungsfähigkeit: Menschen werden in die Lage versetzt, enge erfüllende Bezie­hungen suchen und aufrechterhalten zu können. Es verbessert die Initiative, Probleme werden aktiver angepackt. Resilienz wirkt sich auch positiv auf ihren Humor aus, denn resiliente Menschen können das Komische im Tragischen finden und über sich selbst lachen.

Ist PsyCap etwas, was ein Mitarbeiter hat oder was er ist? Sprechen wir von einer Persönlichkeitseigenschaft oder von Fähigkeiten?

In der Persönlichkeitspsychologie unterscheiden wir zwischen zwei Typen von Merkmalen: Un­ter einem ‚Trait‘ verstehen wir stabile, nur schwer veränderbare Persönlichkeitsmerkmale, wohingegen ein ‚State‘ Merkmale bezeichnet, deren Ausprägung in Abhängigkeit der Situation variiert. Luthans und Kollegen schlagen im Gegensatz dazu ein Kontinuum-Modell vor, das sich anhand der Offenheit für Veränderung und Entwicklung orientiert. Die Forschung legt nahe, dass PsyCap einem veränderbaren State ähnlicher ist als einer unveränderbaren Eigenschaft. In diesem Sinne spricht es auch auf Interventionen an.

Das heißt, PsyCap lässt sich trainieren bzw. allgemein steigern?

Definitiv. Einerseits können Führungskräfte selbst dazu beitragen, dass PsyCap ihrer Mitarbeiter zu entwickeln – das würde ich gerne etwas ausführlicher erläutern, nämlich anhand von spezifischen Fragen, die sich Führungskräfte und auch Personalentwickler stellen können. Für den Aspekt der Selbstwirksamkeit können das folgende Fragen sein: Wie systematisch geben sie ihren Mitarbei­tern positives Feedback? Welche Aufgaben erhalten ihre Mit­arbeiter, damit deren erfolgreiche Bearbeitung ein in­dividuelles Engagement voraus­setzt? Welche Aufgaben bekommen diese, welche ihnen konkrete Erfolgserlebnisse vermitteln? In welchem Umfang betonen sie in der Kommunikation mit ihren Mitar­beitern deren Erfolge und vermei­den eine systematische Erinnerung an Misserfolge? In Bezug auf welche Aktivitäten stellen sie ein Vorbild für ihre Mitar­beiter das?

Für die Dimension der Hoffnung: In welchem Umfang ist ihren Mitar­beitern klar, mit welchen Schritten diese ihre Ziele erreichen können? In welchem Umfang sind diese Ziele ehrgeizig und motivie­rend, aber realisierbar? Inwieweit werden die Mit­arbeiter an der Formulierung von Zielen beteiligt? In welchem Umfang besteht eine Verknüp­fung zwischen dem Erreichen von Organisationszie­len und der eigenen Gratifikation? Sind sie gewillt, ihren Mitarbeitern zu­sätzliche, für die Zielerreichung notwendige, Ressour­cen zur Verfügung zu stellen?

Auch für den Aspekt des Optimismus gibt eine Reihe hilfreicher Fragestellungen: Inwieweit versetzen sie ihre Mitar­beiter in die Lage, Miss­erfolge angemessen zu verarbei­ten bzw. aufgrund von vergange­nen Erfolgen berechtigten Stolz zu empfinden? Wie helfen sie ihren Mitar­beitern, die aktuelle Si­tuation an­gemessen ein­schätzen zu können und somit zusätzliche Erfolgsoptionen zu verdeutlichen? Wie unterstützen sie ihre Mitar­beiter, eigene Stärken zu erkennen und zu entwickeln, so dass in der Zukunft Erfolge noch wahr­scheinlicher werden?

Schließlich einige Punkte zur Förderung von Resilienz: Wie fördern sie das Kompetenzni­veau ihrer Mitarbeiter? Wie unterstützen sie die Vernetzung der Mitarbeiter in ihrer Orga­nisation? Wie wertschätzend gehen sie mit ih­ren Mitarbeitern um? In welchem Umfang tragen sie dazu bei, die Mitarbeiter mittels entlas­tender Praktiken zu unterstützen, z.B. mittels Mentoring oder Coa­ching? In welchem Umfang achten sie auf eine an­gemessene Work-Life-Ba­lance? Inwieweit unterstützen sie das betriebli­che Ge­sundheitsmanagement ih­res Unternehmens? In welchem Umfang trägt die Weiterbildung ihrer Mitarbeiter dazu bei, deren Fähig­keit zur Selbstregulation zu verbessern?

Es gibt aber auch evaluierte Trainingsprogramme, korrekt?

Ja. Luthans und Kollegen haben sog. ‚Mikro-Interventionen‘ entwickelt, die einerseits von kurzer Dauer sein sollen, um Arbeitsausfälle zu minimieren und andererseits alle vier Bausteine des PsyCaps adressieren sollen. Insgesamt nimmt eine solches Training etwa drei Stunden in Anspruch. Der allgemeine Aufbau sieht wie folgt aus:

Im ersten Teil werden die Teilnehmer über die wesentlichen Merkmale von guten Zielen informiert (SMART: spezifisch, messbar, attraktiv, realistisch, terminiert) und dazu angehalten, drei Ziele für die nähere Zukunft zu formulieren. Das individuelle Hoffnungs- und Optimismus-Niveau wird durch das Ersinnen möglicher Lösungsansätze verstärkt. Im zweiten Teil werden die Teilnehmer gebeten, eines dieser Ziele auszuwählen und darüber nachzudenken, wie dieses erreicht werden können. Der Schwerpunkt liegt auf der Entwicklung verschiedener Lösungsansätze. Es geht darum, sich möglicher Hindernisse bewusstzuwerden und verschiedene Alternativen zu entwickeln. Wenn ein realistischer Ansatz gefunden ist, soll der Teilnehmer Unterziele identifizieren, die zur Zielerreichung notwendig sind. Anschließend wird der Teilnehmer gebeten, alle verfügbaren Ressourcen, individuelle und kontextbezogene, aufzulisten. Selbstwirksamkeit als auch Hoffnung werden durch das Bewusstwerden möglicher Hindernisse entwickelt.

Im dritten Teil tauschen die Teilnehmer in Kleingruppen ihre Strategien zur Zielerreichung untereinander aus. Das Augenmerk liegt auf dem konstruktiven Feedback der Gruppe, Verbesserungsvorschläge werden diskutiert. Abschließend wird in einer Brainstorming-Session über motivierende Aussagen nachgedacht, die als tägliche Unterstützung dienen sollen. Selbstwirksamkeit wie auch Resilienz können durch Affirmationen beeinflusst werden. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass entsprechende positive Effekte im vierten Teil, dem Follow-up nach einem bis sechs Monaten systematisch nachgewiesen werden können.

Was haben Unternehmen davon, wenn sie in das Psychologische Kapital ihrer Mitarbeiter investieren?

PsyCap ist, wie bereits skizziert, nicht nur eine der am besten untersuchten Variablen im Rahmen der Positiven Psychologe bzw. des Positiven Managements, sondern auch diejenige mit dem größten Wirkungsspektrum. Psychologisches Kapital wirkt auf zwei Ebenen: Es stärkt die Leistungsvoraussetzungen: Eine Erhöhung des Psycholo­gi­schen Kapitals hat positive Auswirkungen auf die emotionale Ebene (Wohlbefinden, allgemeine Zufriedenheit), die Gesundheit, die Arbeitszufriedenheit, die Entwicklung eigener Kompetenzen und das Engagement – insbesondere in Bezug auf individuelle Aspekte des ‚Organizational Citizenship Behavior‘, also gewissermaßen der Hilfsbereitschaft und Gewissenhaftigkeit, gegenüber der Organisation als Ganzes.

Ein Mehr an Psychologischem Kapital erhöht auch direkt das Leistungsniveau – und zwar unab­hän­gig davon, ob dieses per Selbsteinschätzung, Einschätzung des direkten Vorgesetzten oder anhand objektiver Leistungsindikatoren erfasst wird. Das Psychologische Kapital fördert die Freisetzung von Ressourcen im Sinne einer produktiven Absicht. Wir beobachten eine Steigerung der Produktivität, u.a. durch verbesserte Koordination von Tätigkeiten zwischen Teammitgliedern und Arbeits­gruppen – sowie eine Erhöhung der organisationalen Leistungsfähigkeit insgesamt. Luthans und seine Kollegen verzahnen im Übrigen aufgrund solcher Effekte das PsyCap-Konzept mit Überlegungen zur Förderung einer nachhaltigen Wettbewerbsfähigkeit auf Basis des ressourcenorientierten Ansatzes. PsyCap erfüllt alle relevanten Merkmale solcher wettbewerbsrelevanten Ressourcen: Langfristige Verfügbarkeit, Einzigartigkeit, Kumulierbarkeit, Verknüpfbarkeit mit anderen Ressourcen und Erneuerbarkeit.

Welche Vorteile birgt die Steigerung des PsyCap für Mitarbeiter?

Auf einer jobunabhängigen Ebene lässt sich festhalten, dass die Entwicklung der vier Bausteine positive Effekte auf Gesundheit, Wohlbefinden, positive Emotionen und Zufriedenheit haben. Auf der jobbezogenen Ebene wiederum sind Aspekte wie Flexibilität, Leistungsfähigkeit und Employability zu nennen: Man traut sich mehr zu und macht sich „fitter“ für neue Herausforderungen und Aufgaben.

Gegenwärtig stößt man allenthalben auf Berichte, wonach viele Jobs in naher Zukunft wegfallen werden, weil diese Arbeit besser durch Roboter oder Algorithmen erledigt werden könne. Welche Rolle könnte PsyCap im Zuge dieser Entwicklung spielen?

Unabhängig davon, dass man durchaus geteilter Meinung in Bezug auf den Umfang des Arbeitsplatzabbaus durch intelligente Systeme sein kann, ergeben sich für mich folgende Hinweise: Arbeitgeberseitig könnte die systematische Förderung von PsyCap einer dann deutlich geschrumpften Belegschaft dazu dienen, genau diesen Personenkreis für Aufgaben zu befähigen, die dann Menschen vorbehalten bleiben, wie z.B. im Zusammenhang mit Kreativität, Innovation, aber auch in Bezug auf zwischenmenschliche Aspekte wie Führung, Kommunikation und Konflikthandhabung. Relevanz ergibt sich also für die Personalauswahl, -entwicklung und das Employer Branding.

Arbeitnehmerseitig vermute ich, dass ein zunehmendes Bewusstsein über die Rolle des eigenen PsyCap die Verhandlungsposition gegenüber den Arbeitgebern verbessert. Möglicherweise könnte sich PsyCap auch als Motor für Unternehmensgründungen erweisen: Die Menschen werden selbstbewusster, hoffnungsvoller, belastbarer, risikofreudiger und effektiver.

Wie Sie eingangs erwähnten, ist PsyCap in Deutschland nahezu unbekannt. Was mag der Grund hierfür sein? Liegt es am Namen?

Humankapital wurde im Jahr 2005 zum Unwort des Jahres gewählt, ein Vorgang, der zumindest ökonomisch geschulten Personen komplett unverständlich blieb. Der Begriff Humankapital wurde im allgemeinen Sprachgebrauch seines ursprünglichen Kontextes der Weiterbildungsinvestitionen enthoben und löste mehr oder wenige negative Emotionen und somit Widerstände und Missverständnisse aus. Diesen Begriff haben nicht nur Volkswirtschaftler, sondern auch Betriebswirte in ihrem Studium kennengelernt, sodass wir hier zumindest von einem gewissen Widererkennungswert ausgehen könnten.

Bei PsyCap ist das nun ganz anders: Dieser Begriff ist nicht nur nahezu unbekannt, sondern löst aufgrund der Widersprüchlichkeit eher Irritation als Neugier aus: Was hat denn Psychologie mit Kapital zu tun? Psychologie wird im Unternehmenskontext immer noch zu oft mit Sigmund Freud und seiner Couch assoziiert. Diese eher kritische Distanz lässt sich grundsätzlich beobachten: Versucht man beispielsweise, über Motivation mittels psychologischer Begriffe zu sprechen, dann wirkt das sperriger, als wenn wir neurowissenschaftliche, also vermeintlich innovative Begriffe nutzen. Dabei ist dem Gros der Rezipienten nicht klar, dass die Konzepte in Teilen uralt sind, aber mit bunten fMRT-Bildchen wesentlich innovativer und attraktiver wirken.

Rüdiger Reinhardt hat sich an der TU Chemnitz habilitiert, wurde an der Universität Kassel promoviert und ist aktuell Professor an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen (HfWU). Er gilt als Pionier in Deutschland in Bezug auf die Erforschung von PsyCap. Sein Buch Psychologisches Kapital: Durch Nutzung psychischer Ressourcen zu höherer Führungseffektivität ist 2013 erschienen. Kontakt: ruediger.reinhardt@hfwu.de

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Das Interview erschien zuerst in Dr. Nico Roses Buch Arbeit besser machen.