Nico Rose | Keynote Speaker | Positive Psychologie

Reflexion: „Ich glaube, du spinnst – das ist doch eigentlich ein Ritterschlag!“

Den Satz in der Überschrift sagte der Moderator Leif Ahrens vor einigen Tagen zu mir, während wir gemeinsam eine Veranstaltung für rund 220 Führungskräfte der AOK Hessen bestritten.

In dem Zusammenhang musste ich an ein Feature von Katja Scherer in der WirtschaftsWoche denken. Sie berichtet dort über Menschen, die einen Umschwung in ihren Karrieren initiiert haben — derart, dass es von außen betrachtet den Anschein haben könnte, es handele sich um einen krassen Rückschritt. Auch mir haben Menschen an unterschiedlichen Stellen meiner (sogenannten) Karriere den Vogel gezeigt, zumindest verbal.

  • Viele haben sich z.B. gewundert, dass ich mit Anfang 40 Bertelsmann verlassen habe, obwohl ich einen wunderbaren Chef sowie ein tolles Team hatte, viel von der Welt sehen und wirklich coole Dinge bewegen konnte (das Ganze bei erstklassiger Bezahlung).
  • Ebenso haben mir Menschen den Vogel gezeigt, als ich schon nach knapp drei Jahren meine Professur an der ISM wieder abgegeben habe. Ich stamme aus einem „kleinen Beamtenhaushalt“ — da ist eine Professur quasi das Nonplusultra.

Ich habe einmal über Experimente gelesen,* die nahelegen, dass sich Menschen äußert unwillig zeigen, auf dem Weg der Erreichung von Zielen einen sichtbaren Rückschritt zu akzeptieren, selbst, wenn dieser Rückschritt zwingend notwendig ist, um überhaupt ans Ziel zu kommen. Sie scheitern langfristig lieber final, als sich für kurze Zeit (dem Anschein nach) vom großen Preis abzuwenden.

Ob ein Mensch tatsächlich einen Rückschritt erlebt, ist von außen letztlich schwer einzuschätzen. In der Forschung gibt es schon seit den 70ern das Modell der Proteischen Karriere. Hier wird zwischen dem externen Erfolg (was man sehen kann, z.B. Gehalt, Beförderungen) und dem psychologischen Erfolg unterschieden (i. w. S.: wie es sich anfühlt, die Karriere zu leben).

  • Wäre ich bei Bertelsmann geblieben, hätte ich heute deutlich mehr Geld auf dem Konto.
  • Ein Prof. Dr. geht in Deutschland immer noch mit viel Prestige einher.

Wenn mir Menschen also an den beiden o.g. Punkten den Vogel gezeigt haben, haben sie vor allem auf den externen Karriereerfolg geschaut, nicht die inneren Beweggründe. Tatsächlich waren beide Schritte zwingend notwendig, um wieder näher bei mir selbst zu sein — oder zumindest jener Version von mir, die ich zum jeweiligen Zeitpunkt sein wollte.

„Der Weg ist das Ziel, aber manchmal ist das Ziel im Weg.“ — Peach Weber

* Ich bin nicht mehr sicher, wo genau. Es könnte „Die Logik des Misslingens“ von Dietrich Dörner sein.

WirtschaftsWoche | Schräge Karriere