In der Positiven Psychologie gibt es bisher noch keine allgemein akzeptierte Definition von positiven Interventionen. Einerseits gibt es mehrere Definitionen, die eine beträchtliche Überschneidung aufweisen. Andererseits gibt es noch viel Raum für eine konzeptionelle Klärung (Parks & Biswas-Diener, 2013). Ich schlage die folgende Definition vor:
Eine positive Intervention ist eine evidenzbasierte, intentionale Aktivität (oder Reihe von Handlungen; sprich: eine Verhaltensstrategie), die darauf abzielt, das zu erhöhen (in einer positiven Richtung weg von Null), was Wohlbefinden und Aufblühen in nicht-klinischen Populationen bewirkt oder ausmacht.
Ich werde im Folgenden die Elemente positiver Interventionen in der Reihenfolge erläutern, in der sie in der vorgenannten Definition erscheinen.
Der Begriff „positiv“ in positiven Interventionen definiert den kontextuellen und methodischen Rahmen, in dem die positive Psychologie arbeitet. Auf der kontextuellen Ebene sind die Zielgruppe positiver Interventionen „normale Menschen“, also Menschen aus einer nicht-klinischen Population (Seligman & Csíkszentmihályi, 2000). Dies stellt einen entscheidenden Unterschied zu den meisten therapeutischen Interventionen dar, die darauf abzielen, den Zustand von Menschen zu verbessern, die an einer psychischen Störung, z.B. einer depressiven Episode leiden (Gable & Haidt, 2005). Gleichzeitig ist anzumerken, dass es Studien gibt, die die Wirksamkeit von positiven Interventionen für klinische Populationen untersuchen (Duckworth, Steen, & Seligman, 2005).
Auf der methodischen Ebene versuchen positive Interventionen, positive Phänomene der menschlichen Kognition und Emotion zu nutzen, z.B. angenehme Gefühle und Erinnerungen, Achtsamkeit oder die intentionale Nutzung von Charakterstärken und Tugenden (Peterson, 2006). Dies kann wiederum mit Interventionen in der klinischen Psychologie kontrastiert werden, wo „nicht-positive“ Methoden wie die Verschreibung von Antidepressiva üblich sind. Es ist wichtig anzumerken, dass positive Interventionen (und positive Psychologie im Allgemeinen) keinen Idealzustand des Seins vorschreiben. Vielmehr lassen sie sich durch einen Geist charakterisieren, der den konstruktiven Meliorismus (Pawelski, 2005) atmet, den Glauben, dass Menschen prinzipiell die Möglichkeit haben, ihr Dasein verbessern können, egal, wie die Ausgangslage beschaffen ist. Als solche versucht die Positive Psychologie, Menschen zu helfen, ihr volles Potenzial, ihr individuell bestmögliches Leben, zu erreichen.
Positive Interventionen basieren auf wissenschaftlicher Forschung, idealerweise auf Doppelblindstudien mit adäquaten Kontrollgruppen (Seligman, 2002; Sin & Lyubomirsky, 2009). Dies stellt eine wichtige Modifikation im Vergleich zu Nachbardisziplinen wie der humanistischen Psychologie dar. Während beide Disziplinen viele Gemeinsamkeiten in Bezug auf die relevanten Phänomene, aber auch Werte und Ziele haben, neigen humanistische Psychologen dazu, großzahlige empirische Studien tendenziell abzulehnen (Seligman & Csíkszentmihályi, 2000). Es lässt sich sagen, dass Methoden, die positiven Interventionen ähneln, bis zum Beginn des dritten Jahrhunderts im Großen und Ganzen auf den Korpus der Selbsthilfeliteratur beschränkt waren. Mit der Positiven Psychologie haben sie nun endgültig Einzug in den akademischen Diskurs gehalten.
Positive Interventionen versuchen, Autonomie und Selbstwirksamkeit zu fördern (Ryan, Huta, & Deci, 2008). Die „aktive Ingredienz“ der Intervention sollte im Individuum selbst verortet sein, nicht in einer externen Sphäre. Daher ist ein gewisses Maß an Willenskraft, Selbstregulation und Anstrengung notwendig, um eine positive Intervention erfolgreich durchzuführen (Lyubomirsky & Layous, 2014). Dieses Postulat kann wiederum mit der Verschreibung von Antidepressiva kontrastiert werden, bei der die gewünschte Wirkung durch etwas erzeugt wird, das außerhalb des Individuums liegt und nicht direkt beeinflusst werden kann. Dies ist ein entscheidender Aspekt, da viele Forscher versuchen, Wege zu finden, um positive Interventionen im Stil einer „Selbsthilfe“ zu vermitteln, z. B. als Online-Übung (Ouweneel, Le Blanc, & Schaufeli, 2013). Daher ist es von entscheidender Bedeutung, dass positive Interventionen relativ einfach durchzuführen sind und sich auf die Ressourcen stützen, über die ein Individuum bereits verfügt.
Dieser Aspekt verweist erneut auf den kontextuellen Bereich der Positiven Psychologie. Interventionen in der klinischen Psychologie zielen darauf ab, Menschen zu helfen, einen neutralen (nicht-klinischen) Zustand zu erreichen, wenn bei ihnen eine Psychopathologie festgestellt wird. Kurz gesagt: Ihre Aufgabe ist es, Leiden zu lindern (Seligman & Csíkszentmihályi, 2000). In einer einfachen mathematischen Analogie ist es ihr Ziel, Menschen von einer negativen Zahl auf (bzw. nahe) Null zu bringen. Im Gegensatz dazu sollen positive Interventionen das menschliche Wohlbefinden in die positive Richtung, weg von Null, erhöhen.
Doch obwohl diese mathematische Analogie leicht zu verstehen ist, ist sie in gewissem Maße auch irreführend. Es gibt Grund zu der Annahme, dass positive Zustände (psychische Gesundheit, Wohlbefinden) und negative Zustände (psychische Krankheit, Leiden) im Grunde unabhängige Sphären des menschlichen Erlebens sind. Es ist nicht ungewöhnlich, Momente des Wohlbefindens zu erleben, selbst wenn man schwer krank ist; und gleichzeitig ist es auch möglich, einen Mangel an subjektivem Wohlbefinden zu spüren, obwohl keine Psychopathologie vorliegt (Westerhof & Keyes, 2010). Wenn man also auf mathematische Analogien zurückgreift, ist es am Ende des Tages angemessener, jeder Person einen Punkt in einem kartesischen System zuzuordnen, als einen Punkt auf einem eigenständigen Kontinuum.
Schließlich fördern positive Interventionen Dimensionen des menschlichen Wohlbefindens, sei es das von Ryff und Keyes (1995) vorgeschlagene Modell des psychologischen Wohlbefindens, das Konstrukt des subjektiven Wohlbefindens von Diener (2000) oder das PERMA-Framework von Seligman (2011). Die möglichen Ergebnisse positiver Interventionen sind also vielfältig. Dazu gehören positive Erfahrungen wie Glück, Lebenszufriedenheit, Autonomie und Verbundenheit, Erfahrungen, die das Engagement fördern, z. B. die Entdeckung und Nutzung der eigenen Charakterstärken, die Steigerung der Qualität der eigenen Beziehungen, die Suche nach Sinn und Zweck im Leben oder ein höheres Leistungsniveau. Darüber hinaus sollte das körperliche Wohlbefinden explizit mit einbezogen werden, da regelmäßige körperliche Bewegung ein gangbarer Weg ist, um auch psychisches Wohlbefinden zu erreichen (Fox, 1999).
Während Forscher in der Positiven Psychologie schon früh positive Interventionen entwickelt und empirisch getestet haben (Seligman et al., 2005), ist die Frage, warum und wie diese Interventionen tatsächlich wirken, erst in jüngster Zeit in den wissenschaftlichen Diskurs eingetreten (Schueller, 2010). Ein Artikel von Lyubomirsky und Layous (2014) stellt ein vorläufiges Modell zu dieser Frage vor: Die Autoren gehen davon aus, dass positive Interventionen zu folgenden Effekten führen: ein höheres Maß an positiven Emotionen, mehr positive Kognition und mehr positive Verhaltensweisen – was wiederum zu erhöhten Wohlbefinden und einer Verbesserung in vielerlei Lebensbereichen (Arbeit, Beziehungen, Gesundheit) führt. Obwohl an dieser Erklärung viel Wahres dran zu sein scheint, bleibt sie doch etwas generisch.
In diesem Abschnitt des Artikels werde ich daher meinen eigenen Entwurf der Wirkung von positiven Interventionen vorstellen. Dazu gehören sowohl Überlegungen zu den zugrundeliegenden Mechanismen als auch einige empirische Befunde zu der Frage, in welchen Kontexten und für welche Zielgruppen sie am besten funktionieren. Zu Beginn möchte ich die im vorherigen Abschnitt gegebene Definition von positiven Interventionen wiederholen:
Eine positive Intervention ist eine evidenzbasierte, intentionale Aktivität (oder Reihe von Handlungen; sprich: eine Verhaltensstrategie), die darauf abzielt, das zu erhöhen (in einer positiven Richtung weg von Null), was Wohlbefinden und Aufblühen in nicht-klinischen Populationen bewirkt oder ausmacht.
Der wichtigste Teil dieser Definition für den kommenden Abschnitt ist: „intentionale Handlung“. Diese Worte stehen für zwei allgemeine Prinzipien, die der Funktionsweise aller positiven Interventionen zugrunde liegen: a) die Fokussierung unserer Aufmerksamkeit auf bestimmte positive Phänomene; und b) proaktives Verhalten im Sinne selbst definierter Ziele.
Die Bedeutung der ersten Komponente – das Fokussieren unserer Aufmerksamkeit – wurde bereits vom „Vater der amerikanischen Psychologie“, William James (1890/1923, S. 424), vorgeschlagen: “The faculty of voluntarily bringing back a wandering attention, over and over again, is the very root of judgment, character, and will […] (1890/1923, S. 424). Es ist daher anzunehmen, dass die absichtliche Fokussierung unserer Aufmerksamkeit auf die guten Dinge im Leben zu einem erhöhten Maß an positiven Emotionen führt. Dieser Zusammenhang gilt für verschiedene Varianten der Meditationspraxis, wie z.B. die achtsamkeitsbasierte Meditation (Brown & Ryan, 2003) und die „Loving-Kindness“-Meditation (Fredrickson, Cohn, Coffey, Pek, & Finkel, 2008).
Die positive Wirkung der zweiten Komponente – proaktives Handeln – wird durch verschiedene Forschungsprogramme gestützt. Es gibt zahlreiche Belege für die These, dass der Aufbau von Handlungsfähigkeit und Kontrolle mit einem Gefühl von Autonomie einhergeht, das wiederum zu einer Steigerung des Wohlbefindens führt (Ryan, Huta, & Deci, 2008). Implizit eingebettet in die Vorstellung, eine intentionale Handlung auszuführen, ist die Konnotation, dass es eine Art von Ziel geben muss, das man anstrebt. Die Zielsetzungstheorie (Locke, 1996) postuliert, dass klare erreichbare Ziele und regelmäßiges, zielbezogenes Feedback die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass wir unsere Ziele tatsächlich erreichen, was wiederum zu einem höheren Maß an Selbstwirksamkeit führt (Maddux, 2009), was schließlich die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass wir unsere Ziele in der Zukunft erreichen. Das Erreichen persönlicher Ziele führt letztendlich zu einem Gefühl von Erfüllung, und Bedeutung im Leben (Brunstein, 1993; Sheldon & Elliot, 1999; Emmons, 2003).
Zusammenfassend lassen sich die Mechanismen, die der Wirksamkeit positiver Interventionen zugrunde liegen, wie folgt zusammenfassen: Die Durchführung positiver Interventionen führt dazu, dass Menschen ein höheres Maß an positiven Emotionen erleben, mehr positive Gedanken denken und mehr positive Verhaltensweisen an den Tag legen, indem sie ihre Aufmerksamkeit auf die guten Dinge im Leben richten, wodurch sie in die Lage versetzt werden, sinnvolle Ziele zu erreichen, ihr Gefühl von Handlungsfähigkeit und Selbstwirksamkeit gestärkt wird, was ihren Sinn für Erfolg im bzw. Sinnhaftigkeit des Leben fördert.