Positive Leadership: Über den Einsatz von Positiver Psychologie in der Führung

Nico Rose | Kim Cameron

Nico Rose | Kim Cameron

Seit die Positive Psychologie um das Jahr 2000 von Martin Seligman und einigen Mitstreitern ins Bewusstsein der Welt gehoben wurde, haben sich naturgemäß viele Teildisziplinen herausgebildet. Jene Forschung, welche sich mit der Anwendung der Positiven Psychologie in Organisationen und im Management beschäftigt, wird mittlerweile Positive Organizational Scholarship (POS) genannt. Ein Teil der POS wiederum widmet sich dem Aspekt der (interpersonellen) Führung und wird Positive Leadership genannt. Am engsten verbunden mit diesem Konzept ist Kim Cameron von der University of Michigan. Er hat dort, gemeinsam mit Kollegen wie Bob Quinn und Jane Dutton, das Center for Positive Organizations gegründet.

Was ist Positive Leadership?

Es gibt bislang keine einheitliche Definition von Positive Leadership. Vielmehr handelt es sich um ein Sammelsurium von Denkweisen und „Werkzeugen“, welches aus allgemeinen Prinzipien der Positiven Psychologie abgeleitet wurde. Daher möchte ich mich an dieser Stelle darauf beschränken, einen zentralen Ansatz (oder besser: eine Haltung) vorzustellen, die durch Kim Cameron in die POS eingeführt wurde und als übergreifendes Ordnungsprinzip dienen mag.

Die Suche nach Positiver Devianz

Unternehmen als (soziale) Systeme sind auf Selbsterhaltung ausgerichtet, sprich: sie reproduzieren sich immer wieder selbst durch Kommunikation, durch formelle und informelle Strukturen, explizite und implizite Wertegerüste – und natürlich durch formelle sowie informelle Prozesse. Damit dieser Reproduktionsprozess – unabhängig von konkreten Protagonisten – gelingt, definieren Unternehmen, ebenfalls explizit und auch implizit, was „normal“, also in der Norm, ist.

In diesem Sinne beschäftigen sich Führungskräfte und Manager zu einem nicht unwesentlichen Teil ihrer Zeit damit, negative Abweichungen von Normen zu addressieren und zu korrigieren. Im Management-Sprech wird dies häufig mit dem Begriff „Brände löschen“ bezeichnet. Ähnlich wie in der Medizin geht also um eine Art pathologischen Blick auf das Unternehmen. Vereinfacht gesagt geht man auf die Suche nach Elementen, die nicht (mehr) funktionieren und bemüht sich, diese wieder in den Normbereich zu bringen (in der Medizin = kurativer Ansatz).

Seinen Ursprung fand diese Denkweise in Frederick Taylors „Scientific Management“, wonach die Führungsebenen die (Produktions-)Prozesse eines Unternehmens in kleine reproduzierbare Schritte gliedern sollten, so dass die Arbeiter, ähnlich Drohnen, immer die wenigen gleichen Handgriffe zu erledigen hatten. Auch für das Feld der maschinellen Produktion, vor allem im Bereich des Qualitätsmanagements, spielt dieser Ansatz eine herausragende Rolle.

Eines der bekanntesten Qualitätsmanagement-Systeme wird unter dem Label „Six Sigma“ vermarktet. Der Begriff ist der Sprache der Statistik entlehnt. Der griechische Buchstabe Sigma steht für das Konzept der Standardweichung, durch welche festgelegt wird, ab wann ein Wert einer Verteilung als „nicht mehr durchschnittlich“ bezeichnet werden kann. Konkret wird im Rahmen von „Six Sigma“ angestrebt, dass Prozessfehler nicht häufiger als in 0,00034% aller Fälle auftreten. An dieser Vorgehensweise ist per se nicht verkehrt, sie ist darauf ausgerichtet, Fehler zu minimieren und Effizienz zu fördern – dies sind grundsätzliche Ziele jedes Unternehmens. Allerdings birgt dieser Ansatz auch Gefahren.

Organisationen ignorieren zumeist, was „abnorm gut“ ist

Nico Rose | Robert Quinn

Nico Rose mit Professor Robert Quinn

Unternehmen haben naturgemäß begrenzte Ressourcen. Das gilt für Finanzmittel und Personal, aber genauso für die „Management Attention“, also die Menge an bewusster Aufmerksamkeit, mit der sich die Leitungsebene bestimmter Themen annehmen kann. Wenn nun ein Großteil dieser kritischen Ressource dafür aufgewendet wird, negative Abweichungen zu korrigieren, bleibt nicht mehr genug Aufmerksamkeit, um auf Verhalten oder Prozesse zu achten, die bereits außergewöhnlich gut funktionieren.

Der Positive Leadership-Ansatz rät Führungskräften allerdings, genau das vermehrt zu tun. Ähnlich wie in der Medizin in den 1980er-Jahren in Abgrenzung zur Pathogenese die Denkweise der Salutogenese aufgekommen ist (die Suche Faktoren, die unsere Gesundheit mehren – im Gegensatz zu Faktoren, die Krankheiten beseitigen), richtet sie den Blick auf jene Bereiche des Unternehmens inklusiver zugehöriger Mitarbeiter, wo bereits „alles in bester Ordnung“ ist. Es geht also um eine Art Stärkenorientierung auf organisationaler Ebene.

Diese Empfehlung beruht auf der folgenden Annahme: Es gibt Grund zu der Vermutung, dass organisationales Bewusstsein letztlich organisationales Sein erzeugt. Im Amerikanischen heißt es dazu: „Energy grows where attention goes“. Anders gesagt: Unternehmen, die auf das fokussieren, was fehlerhaft ist, bewirken damit unter Umständen das Auftreten von noch mehr Fehlern. Unternehmen, die ihr Bewusstsein in Richtung dessen verschieben, was bereits außergewöhnlich gut ist, erzeugen mitunter ebenfalls mehr desselben.

Auf lange Sicht geht es bei Positive Leadership also darum, den Anspruch und das Bewusstsein der gesamten Organisation zu verschieben. Ziel ist es, den Bereich des Normalen so oft wie zu verlassen und über alle Haltungen, Produkte und Prozesse so oft als möglich die Sphäre des außergewöhnlich Positiven zu betreten. Die folgende Grafik, welche ich von Professor Kim Cameron übernommen habe, mag dies zusammenfassend verdeutlichen.

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