Nico Rose | Arbeit besser machen

Auf den Schultern welcher Riesen steht die Positive Psychologie?

Die Positive Psychologie ist 1998 nicht einfach vom Himmel gefallen. In Martin Seligmans Forschungsarbeit zeichnet sich über 20 Jahre eine fortschreitende Haltungsänderung ab. Er wurde Ende der 1960er-Jahre in der Welt der Psychologie fast über Nacht berühmt mit einem Konzept, das als erlernte Hilflosigkeit bekannt ist. Seligman konnte durch Experimente mit Hunden nachweisen, dass diese durch Bestrafung mit leichten Stromstößen in einen der Depression ähnlichen, apathischen Zustand getrieben werden können – wenn sie verlernen, dass sie Kontrolle über ihre Umwelt ausüben können (Seligman & Maier, 1967). Später wies er mit seinen Kollegen, freilich ohne Stromstöße, ähnliche Dynamiken beim Menschen nach (Abramson, Seligman, & Teasdale, 1978). In diesem Sinne gründet sein früher akademischer Ruhm unverkennbar auf der auf Negativ-Phänomene fokussierenden Psychologie.

Ende der 1970er-Jahre wandte er sich, noch vornehmlich um die Behandlung von Depressionen bemüht, einem Phänomen zu, das in der Psychologie als Attributionsstil bekannt ist. Vereinfacht gesagt geht es um die Frage, wie Menschen sich all das erklären, was in ihrem Leben tagein tagaus passiert. Grundsätzlich lassen sich ein optimistischer und ein pessimistischer Stil unterscheiden. Seligman und Kollegen konnten zeigen, dass ein pessimistischer Attributionsstil oft bei Menschen mit einer akuten Depression vorherrscht – bzw. dieser sogar kausal vorausgeht. Mit der Zeit wurde klar, dass der Attributionsstil von Menschen allerdings nicht in Stein gemeißelt ist, sondern z. B. auf Psychotherapie anspricht (Seligman et al., 1988). Darüber gelangte Seligman zu einer wichtigen Erkenntnis: Wenn Menschen lernen können, pessimistisch zu denken, dann sollte es auch möglich sein, sich über die Zeit optimistische Erklärungsmuster anzueignen. Die Forschung rund um diese Frage beschreibt er in seinem Buch »Learned Optimism« von 1991. Es geht dem offiziellen Gründungsimpuls der Positiven Psychologie also um einige Jahre voraus.

Die frühe Welle

Ebenfalls in diese zeitliche Periode fallen wichtige Forschungsarbeiten von herausragenden Psychologen wie Albert Bandura, Mihály Csíkszentmihályi, Edward Deci und Richard Ryan, Ed Diener, Ellen Langer oder Carol Ryff und Corey Keyes.

  • Albert Bandura zählt zu den am meisten zitierten Psychologen aller Zeiten, u. a. für seine Forschung über Selbstwirksamkeit (1982), quasi die akademische Variante des Henry Ford zugeschriebenen Bonmots »Ob du denkst, du kannst es, oder du kannst es nicht: Du wirst auf jeden Fall recht behalten.«
  • Mihály Csíkszentmihályi hat, wie bereits erwähnt, die Forschung rund um das Flow-Konzept begründet (1975).
  • Edward Deci und Richard Ryan haben über die Unterschiede zwischen intrinsischer und extrinsischer Motivation geforscht. Basierend darauf entwickelten sie die Selbstbestimmungstheorie menschlicher Motivation (1985).
  • Ed Diener spielt eine herausgehobene Rolle in der Positiven Psychologie mit seinen Forschungsarbeiten rund um subjektives Wohlbefinden (1984). Zudem war er Hauptautor des am weitesten verbreiteten Forschungsinstruments rund um psychologisches Wohlbefinden, der »Satisfaction With Life Scale« (Diener, Emmons, Larsen, & Griffin, 1985).
  • Ellen Langer hat Weltruhm erlangt, einerseits mit ihrer Arbeit zu Kontrollüberzeugen (1975), später auch zu Achtsamkeit und Meditation (1989).
  • Carol Ryff und Corey Keyes haben ein Konzept des psychologischen Wohlbefindens (1995) entwickelt, das einen gewissen Einfluss auf Seligmans PERMA-Modell hatte.

Darüber hinaus sind frühe Konzepte der Positiven Psychologie beeinflusst von der sogenannten Kognitiven Therapie, insbesondere nach Aaron »Tim« Beck – z. B. die Idee, dass wir durch die Veränderung von Denkmustern unsere Gefühle beeinflussen können (Beck, Rush, Shaw, & Emery, 1979). Ebenfalls hohe Anerkennung genießt die Arbeit von Viktor Frankl, Begründer der Sinnforschung und der Logotherapie (1984). Auch der Psychologe und Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaften von 2002, Daniel Kahneman, wird zu den Wegbereitern der Positiven Psychologie gezählt, in erster Linie aufgrund des Buches »Well-Being: The Foundations of Hedonic Psychology« (1999), das er gemeinsam mit Ed Diener und Norbert Schwarz herausgegeben hat.

Ein gespanntes Verhältnis zur Humanistischen Psychologie

Als wichtige Inspiration für die Positive Psychologie sollte außerdem die Humanistische Psychologie genannt werden, die heute vor allem mit Lichtgestalten wie Abraham Maslow, Carl Rogers, Virginia Satir und Erich Fromm assoziiert wird. Maslow und Rogers sind bis heute präsent durch ihre bahnbrechenden Ideen. Abraham Maslow hat bis heute großen Einfluss durch seine Arbeiten über menschliche Bedürfnisse und das Konzept der Selbstaktualisierung (1943), Carl Rogers spielt als Begründer der Klientenzentrierten Therapie (1941) weiterhin eine große Rolle im Bereich der Psychotherapie. Ähnliches gilt für Virginia Satir, eine der wichtigen Impulsgeberinnen für die Familientherapie (1967). Erich Fromms Werk ist breit angelegt, er wirkt bis heute nach, insbesondere durch Weltbestseller wie »Escape from Freedom« (1941) und »To Have or to Be?« (1976).

Obgleich sich die Humanistische Psychologie und die Positive Psychologie in ihren Zielen sehr nahestehen (Potenzialorientierung und Fokus auf »das Gute« im Menschen), bestand von Anfang an ein – aus meiner Sicht: leider – gespanntes Verhältnis zwischen beiden Disziplinen. Unglücklicherweise äußerten sich Seligman und Csíkszentmihályi im Gründungsmanifest der Positiven Psychologie (2000), im Bemühen um eine Abgrenzung zwischen den Strömungen, latent abfällig über die Humanistische Psychologie. Insbesondere wurde der Mangel an Stringenz und hochqualitativer empirischer Forschung bemängelt (S. 7). Viele Vertreter der Humanistischen Psychologie sahen darin eine Herabwürdigung der Pionierarbeit, die in ihrer Disziplin geleistet wurde.

Der verunglückte Start in der Beziehung beider Felder wirkt bis heute nach. In seiner Autobiografie entschuldigt sich Seligman (2018) sogar für diesen Ausrutscher (S. 268). Obgleich die Spannungen zwischen den Vertretern der Humanistischen und der Positiven Psychologie abgenommen haben und bisweilen eine stärkere Verzahnung gefordert wird (Schneider, 2011), sehen manche Protagonisten eine Unversöhnlichkeit beider Disziplinen, die mit zu starken Differenzen in Bezug auf das zugrundeliegende Menschenbild, die Konzeption eines guten Lebens und auch die Forschungsmethoden begründet werden. Waterman (2013) empfiehlt in dieser Hinsicht, die Felder sollten sich unabhängig voneinander weiterentwickeln.

Ältere Einflüsse

Als wichtige frühere Einflüsse werden zudem regelmäßig Menschen wie William James genannt, der vielen US-Amerikanern als Gründervater der modernen Psychologie gilt (1890), außerdem Autoren wie Ralph Waldo Emerson, Henry David Thoreau und Walt Whitman (Becker & Marecek, 2008), allesamt Vertreter des Individualismus. Zudem beziehen sich einige Positive Psychologen bisweilen auf griechische und römische Philosophen der stoischen Tradition und die Schriften des Buddha (Lomas, 2016), meist in Bezug auf die Idee, dass Menschen ihren Geist bewusst ansteuern können, um wünschenswertere Erfahrungen zu ermöglichen. Schließlich finden sich auch Benjamin Franklin und Aristoteles häufig in den Quellen, meist im Hinblick auf ihre Ideen über ein tugendhaftes, selbstdiszipliniertes Leben im Einsatz für die Gemeinschaft (Peterson & Seligman, 2004).

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Der Text ist ein gekürzter Beitrag aus Nico Roses gerade erschienenem Buch Arbeit besser machen.